Saarbrücken, 26.03.2022 – “Dass die Integration von ukrainischen Kindern in Kindertagesstätten schnellstmöglich erfolgen muss, steht außer Frage“, beteuert Nadine Teiner, Delegierte für das Saarland in der Bundeselternvertretung der Kitas und Kindertagespflege (BEVKi) und Beisitzerin des Landeselternausschusses der Kitas im Saarland (LEA) als Reaktion auf die Veröffentlichung der Ergebnisse einer Arbeitsgruppe von Gesundheits- und Bildungsministerium, Kita-Trägern und Wohlfahrtsverbänden[1] am Donnerstag. „Inwieweit es jedoch zweckdienlich ist, mehr Kinder in den Kitas aufzunehmen, als die Betriebserlaubnis vorsieht, sehen wir als Elternvertreter sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene kritisch. Den Betreuungsschlüssel herabzusetzen, steht im maximalen Widerspruch zum wissenschaftlichen Konsens bzgl. Kindeswohl in Kitas und zu dem, wofür wir seit Jahren kämpfen”.
Die Fachkraft-zu-Kind-Ratio im Saarland entspricht bereits jetzt nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen. „Die Personalsituation in den Kitas war bereits vorpandemisch bedenklich. Angesichts der letzten zwei Jahre müssen wir klar sagen, dass das Kitapersonal weit über die Belastungsgrenze hinaus gegangen ist und keine Reserven mehr da sind. Der Krankenstand ist enorm, es ist jetzt schon kaum möglich, den Kitabetrieb aufrecht zu erhalten und Einschränkungen der Öffnungszeiten oder Teilschließungen sind an der Tagesordnung“ führt die BEVKi-Delegierte fort.
Dies führt nicht nur zu großen organisatorischen Schwierigkeiten und zusätzlichen finanziellen Belastungen bei den Erziehungsberechtigten, sondern bedeutet auch zusätzlichen Stress für die Kinder und das Kitapersonal. Stress, der besonders in Bezug auf die spezielle Situation und die Bedarfe von ukrainischen Kindern und Familien tunlichst vermieden werden muss.
Das Aussetzen der Obergrenze ist zwar auf dem Papier der naheliegendste und am einfachsten umsetzbare Gedanke. In der Realität prallt er aber auf ein System, das bereits seit Monaten bzw. Jahren mit nicht zu lösender Handbremse unter Vollgas einen vollbeladenen Anhänger zieht.
Dem Ländermonitoring[2] der Bertelsmannstiftung nach fehlen bereits jetzt 1000 Fachkräfte in saarländischen Kitas. Bis 2030 wird gemäß wissenschaftlichen Empfehlungen von 5000 Fachkräften gesprochen. Und dies gänzlich ohne jedwedes infektiologische Geschehen.
„Wir betrachten das Aussetzen der Obergrenze mit massivem Bauchweh. Wenn wir zu diesem Schritt greifen, dann zwingend zeitlich begrenzt und nur als äußerste Maßnahme parallel zur Entwicklung von Konzepten, wie das Kitapersonal, das sich seit zwei Jahren im Ausnahmezustand befindet, unmittelbar entlastet wird. Denn nur wenn ausreichend Personal zur Verfügung steht, ist auch die Sicherheit und das pädagogische Angebot für Kinder sichergestellt. Das letzte was Kinder und Eltern aktuell brauchen sind weitere Streiks und Personalausfälle aufgrund von nochmal steigender Belastungen”.
Möglichkeiten wie eine solche Entlastung aussehen könnte, sieht der LEA z.B. im Einsatz von Hilfskräften, multiprofessionellen Teams und der Entschlackung von Aufgabengebieten. Hauswirtschaftliche Tätigkeiten sowie Verwaltungsaufgaben dürften nicht länger an pädagogischen Fachkräften hängen bleiben. So könnten z.B. kurzfristig Rahmenbedingungen für sogenannte virtuelle Assistenzen geschaffen werden, die Kitas auf stundenweise bei Verwaltungsaufgaben entlasten, wie es im modernen Unternehmertum längst Usus ist. Dringend nötig seien auch Konzepte, die es ermöglichen, Trainer, Musikpädagogen, Psychologen, Lesepaten, Eltern, Elternvertreter, fremdsprachliche Assistenten, Ehrenamtliche etc. einzubinden oder kurzzeitig einzustellen, ohne vor dem Problem des ungeklärten Versicherungsstatus zu stehen.
„Wir müssen uns lösen von der Sorge, dass der Einsatz von nicht pädagogischen Kräften die Qualifikation des Fachpersonals abwertet. Der Einsatz solcher Hilfskräfte schafft Freiräume, damit das pädagogische Fachpersonal sich mit dem beschäftigen kann, was seiner Kernkompetenz entspricht: frühkindlicher Pädagogik. Wenn wir endlich mal anfangen würden, in Kitas und Schulen alle zeitfressenden Aufgaben auszugliedern, die nichts mit pädagogischer Arbeit zu tun haben und diese stattdessen von Menschen ausführen ließen, die dafür qualifiziert sind, wäre schon vieles gewonnen“ führt die Delegierte, die selbst Lehramt studiert hat, aus.
Auch der Ausbau von Kurzzeitbetreuungen, eventuell mit speziellem Fokus auf fremdsprachliche Kinder und alternativen Kinderbetreuungsmöglichkeiten nach dem Beispiel der Homburger „Fleximed Kids“, wo Student:innen sowie Mitarbeiter:innen des Universitätsklinikums und der Universität des Saarlandes ihre Kinder stundenweise betreuen lassen können, sieht der LEA als Möglichkeit. Nicht alle Eltern und Kinder sind zwingend auf einen Ganztagsplatz angewiesen, sondern würden sich bereits deutlich entlastet sehen, wenn sie die Kinder wenigstens stundenweise betreut wüssten.
„Wir sind alles andere als glücklich darüber, dass wir vom Arbeitstreffen der Ministerien und Kita-Akteure lediglich aus der Presse erfuhren und bei der Entscheidungsfindung nicht mit einbezogen wurden. Das entspricht nicht dem guten Austausch, den wir in den letzten Monaten aufgebaut haben,“ so die Elternvertreterin, „somit konnten wir bislang auch noch nicht in Erfahrung bringen, ob die Aushebelung der Obergrenze der einzige Beschluss in puncto Integration von ukrainischen Kindern in Kitas ist bzw. wie sich die Platzvergabe angesichts bereits bestehender, ellenlanger Wartelisten gestalten soll”.
Dass die Herausforderung der Integration von kriegsgeschädigten und teils traumatisierten Kindern ausgerechnet auf ein präkollaptisches System trifft, ist tragisch und dramatisch. Umso mehr gilt es jetzt schnell und unbürokratisch aus den festgefahrenen Denkmustern der deutschen Kita- und Schullandschaft auszubrechen, innovative Ideen zuzulassen und mit Kreativität die Weichen dafür zu stellen, den steigenden Bedarfen unserer globalisierten Welt Stand zu halten.
[1] https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/politik_wirtschaft/kita_plaetze_ukrainische_kinder_saarland_100.html Stand 26.03.2022
[2] https://www.laendermonitor.de/fileadmin/files/laendermonitor/laenderprofile_2021/Laenderprofil_SL_2021.pdf Stand 26.03.2022
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